Überseetransport: Pandemien und Naturkatastrophen betreffen uns immer

Anfang 2020 Sturm Sabine, dann das Coronavirus: Wenn Schulen und Fabriken geschlossen bleiben, der öffentliche Verkehr lahm liegt und Vorsichtswarnungen ausgesprochen werden, sieht sich zunächst einmal der Einzelne in der Bredouille. Die Konsequenzen reichen aber weiter, als man auf den ersten Blick vielleicht sieht: Auch die Transportbranche ist von Ausnahmezuständen wie Pandemien und Naturkatastrophen, aber auch politischen Spannungen in gewissen Ländern stark betroffen. Joël Arnoux, Leiter Übersee bei ITS, sieht die täglichen News deshalb mit ganz anderen Augen. Wenn er etwa von einem Sturm wie Sabine Anfang Februar hört, dann erkundigt er sich als erstes darüber, ob Bahn.-Rheinverkehr oder Häfen blockiert sind.

Die Abteilung Übersee kümmert sich vor allem um Import und Export von Standardgütern. Darunter fallen unter anderem Waren wie Lebensmittel, Maschinengüter, Möbel, Textil oder Farben und Leim. Einer der Schweizer Importe Nummer 1: Saucen. Exportiert werden hauptsächlich Maschinen und Käse. Meistens handelt es sich dabei um Containertransporte, manchmal betreut die Abteilung aber auch den Transport von sogenanntem Sammelgut, das dann auf einzelnen Paletten bewegt wird.

Bei einem Sturm wie Sabine kommt es dabei zu massiven Problemen: So eine Naturgewalt fegt die ganze Planung über Bord. Das fängt bei der Dauer der Schiffsreise an – die üblichen 30 Tage, die ein Transportschiff von Asien üblicherweise in die Schweiz benötigt, verzögern sich. Aber auch die Häfen selbst sind betroffen. Im Norden waren wegen Sabine ganze drei Tage lang die Terminals geschlossen, weshalb Schiffe nicht ab- oder beladen wurden. Also auch die Rheinschiffe nicht.

Solche Verzögerungen bringen die ganze Transportkette durcheinander, weil dann der Weitertransport zum Beispiel auf anderen Schiffen, Lastwagen oder mit der Eisenbahn nicht mehr aufgeht. Etwa so, wie wenn Sie in Olten den Anschlusszug verpasst haben und wie «bstellt und ned abgholt» auf dem Gleis stehen. Und dann fällt der nächste Zug aus.

«In unserer Branche haben Naturereignisse fast immer mehr oder weniger starke Konsequenzen», sagt Joël Arnoux. Und zwar nicht nur eine, sondern meistens einen ganzen Rattenschwanz davon. Nach 20 Jahren ist er deshalb ein Profi darin, solche Situationen zu navigieren und kennt die Herausforderungen und Probleme des globalen Transportwesens.

Eines sieht er zum Beispiel darin, dass die Transportschiffe immer grösser werden. 90% des Handels funktioniert heute über Schiffstransporte. 350 Meter lang ist ein modernes Transportschiff. Eine Schiffsladung umfasst heute 24'000 Container wo früher 8'000, später 15'000 geladen wurden. Die Häfen laufen deshalb schon unter Normalbedingungen am Limit. Wüten dann noch Sabine oder das Coronavirus, geht teilweise gar nichts mehr.

Der Hafen von Shanghai, einer der weltweit wichtigsten Handelshäfen, ist zwar voll automatisiert und die Hauptfunktionen sind aktiv, doch hier zeigte die Coronakrise bereits im Februar eine andere Auswirkung: Das bedeutende Produktionsland China war über Wochen im Ausnahmezustand, viele Fabriken waren geschlossen, die grösste Handelsroute, China - USA, lag lahm. Wo Güter fehlen, kann auch nichts geladen und transportiert werden. Schiffe müssen leer weiterfahren – falls sie überhaupt weiterfahren dürfen. Die Nachfrage geht deshalb aber nicht weg. Als die Route wieder offen und Güter wieder lieferbar waren, musste mehr Ware in kürzerer Zeit transportiert werden, weshalb die Luftfracht mehr in Anspruch genommen wurde. In «normalen» Zeiten, hätte man in Flughäfen nicht genug Kapazitäten und das System wäre überbeansprucht. Kürzlich flogen sogar Passagierflugzeuge voll beladen mit Masken täglich von Asien nach Europa.  

Eine schwierige Situation, mit der Joël Arnoux seit Monaten alle Hände voll zu tun hat. «Unabhängig davon, ob wir hier von einer Krise betroffen sind, die Transportbranche spürt die Auswirkungen immer und muss Annahmen für mögliche Konsequenzen auf unsere Angebotssituation und Lieferumstände bereits Wochen im Voraus stellen.» Aber für ihn ist der Ausnahmezustand kein Ausnahmezustand, sondern sein täglicher Job. Irgendwas ist immer:

«Lösungen zu finden war und ist immer ein grosser Teil meiner Arbeit. Wir stehen morgens auf, gehen zur Arbeit und wissen nie, wie der Tag verlaufen wird. Mal führt der Rhein zu wenig Wasser, mal zu viel, dann kommt Sabine, jetzt das Coronavirus. Aber es ist die grösste Genugtuung, solche Hürden zu nehmen. Dann sehe ich die Ware im Laden, weiss, wie fordernd das Projekt war, und bin stolz, dass wir es einmal mehr geschafft haben.»